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Jahresrückblick 2022

2022 war ein sehr enttäuschendes Jahr, anders kann man es nicht sagen. Während die allgemein Erwartungshaltung Ende 2021 noch war, dass die Inflation vorübergehend und weit weniger stark kommt und wir uns insgesamt auf ein relativ ruhiges 2022 einstellen können, sah die Welt einige Monate später ganz anders aus. Die langsame Reaktion der Notenbanken führte zu einem unkontrollierten Anstieg der Inflation und damit einhergehend eine der schnellsten Zinserhöhungszyklen der letzten Jahrzehnte – mit entsprechenden Folgen auf Wirtschaft und Aktienmarkt. Der Russland-Ukraine-Krieg führte zu einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Situation, zu explodierenden Energiepreisen und ängstlichen Verbrauchern.

Gerade in Europa hat die Verbraucherstimmung (wie im nachfolgenden Bild zu sehen) in den stark negativen Bereich gedreht und war so schlecht wie seit dem zweiten Weltkrieg bzw. dem Beginn der Datenerfassung nicht mehr. Gründe dafür waren vor allem die Angst vor einer weiteren Eskalation des Krieges, der hohen Inflation auf Lebensmittel und weiteren Konsumgütern, sowie die explodierenden Energiepreise. Zwischenzeitlich wurde sogar darüber diskutiert, ob Deutschland es ohne Black-Outs und mit genügend Gas über den Winter schafft. Dies hatte erhebliche Folgen auf Konsumaktien: Statt Einkaufslaune wurde an allen Ecken gespart, die Lust neue Produkte auszuprobieren oder sich etwas zu gönnen ist eingebrochen. Erst zum Jahresende hin – zeitgleich mit ersten Lichtblicken was Inflation und Versorgungssicherheit angeht – konnte sich das Konsumklima wieder etwas aufhellen, selbst wenn es weiterhin deutlich unter dem langjährigen Schnitt liegt.

Auch die Inflation befindet sich (vor allem in den USA) so langsam auf dem Rückzug. Der große Preistreiber in den ersten Monaten 2022 – die Energiepreise – ist wieder auf das Niveau Ende 2021 zurückgefallen und sollten sich mit etwas Verzögerung auch in anderen Branchen niederschlagen. Immobilienpreise (und damit zeitverzögert Mieten) haben ihren Zenit erstmal überschritten und sollten sich ebenfalls bald in den offiziellen Inflationsdaten widerspiegeln. Zudem zeigt sich auch bei Lebensmittelpreisen eine gewisse Entspannung. Mit dem Basiseffekt des ersten Halbjahres 2022 sehe ich gute Chancen, dass die Inflation in den USA Mitte diesen Jahres wieder unter 5% rutscht. Weitere Entspannung würde ein Ende des Krieges bedeuten, wenngleich dies sehr schwer vorherzusehen ist.

Anziehende Zinsen, schlechte Verbraucherstimmung und hohe Inflation bedeuteten für das Aktienjahr 2022 viele Sorgen – gerade für Wachstumsunternehmen. Für Unternehmen, die entweder kein solides Geschäftsmodell oder noch einen weiten Weg bis zur Profitabilität hatten, hat dies teilweise das Ende bedeutet. Andere mussten Wachstumspläne und Expansionsmöglichkeiten überdenken – es hat sich eine gewisse Bereinigung gezeigt nach Jahren des Wachstums um jeden Preis.

Nichtsdestotrotz zählt als Anleger am Ende die Rendite, die am Ende erzielt wurde. Und diese war nach einer sehr guten Performance bis Mitte 2021 überaus enttäuschend. -57,9% stehen für das Jahr 2022 zu Buche verglichen mit -17% beim CDAX und -55% beim GLORE E-Commerce-Fonds. Dieser Einsturz ist natürlich viel zu hoch, unabhängig vom schwierigen Umfeld für Konsumaktien. Während ich zwar weiterhin von der Qualität der Aktien im Portfolio überzeugt bin (siehe unten), habe ich bereits in den letzten Wochen überlegt, wie solche extremen Drawdowns zukünftig verhindert werden können und arbeite aktuell an einem Konzept. Dies kann sowohl flexible Cash-Quoten, einen weniger riskanten Teil an cashflow-positiven Unternehmen oder Limitierungen bei den Bewertungen enthalten. Mehr dazu jedoch in den kommenden Wochen.

Seit Auflage steht die Performance bei 35,5% oder gut 8% p.a. – beides leicht über den Werten des CDAX.

Unternehmen

Delivery Hero

Das Jahr begann direkt negativ mit dem starken Absturz von Delivery Hero auf unter 25€ innerhalb weniger Monate (https://www.aktienalpha.de/delivery-hero-update/). Im damaligen Umfeld wurde DH für den starken Expansionskurs bestraft und zwischenzeitlich kamen sogar Sorgen über die Liquidität auf. Mittlerweile ist die Geschäftsstrategie deutlich verändert worden und statt Wachstum um jeden Preis wird bereits gegen Ende diesen Jahres ein positiver Cashflow angepeilt. Auch die Liquiditätslage mit gut 2 Mrd. € zum Jahresstart ist aktuell sehr solide, sogar zukünftige Anleihen werden bereits zurückgekauft.

Das Wachstum ist dafür deutlich zurückgegangen. Für 2023 erwarte ich gut 10% GMV-Wachstum, welches ab 2024 dann wieder etwas steigen dürfte. Dafür wird DH jedoch das Jahr 2023 wohl zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte mit einem positiven operativen Gewinn abschließen. Die langfristigen Ziele sind weiterhin sehr ambitioniert, hier wird sich in den Jahren ab 2024 zeigen, ob man die nicht-profitablen Länder weiter reduzieren und die Marge in den profitablen Ländern weiter ausbauen kann. 2022 wird rückblickend gesehen wohl als Jahr der Marktbereinigung in die Geschichte der Food-Delivery-Branche eingehen, in dem mehrere große Unternehmen (u.a. JET, Uber Eats) sich aus einzelnen Ländern zurückgezogen und die Marketinginvestitionen insgesamt deutlich zurückgegangen sind. Dies kann dem Sektor mittel- bis langfristig nur gut tun.

Hellofresh

Für Hellofresh begann das Jahr 2022 operativ hingegen sehr gut mit Rekordumsätzen und -kundenzahlen in Q1. Bereits Ende 2021 hatte der Vorstand auf dem CMD angekündigt, dass 2022 stark investiert wird, um sich für die Zukunft zu rüsten und den Investitionsstau seit Corona abzubauen. Dies war jedoch belastend für die operative Marge, zudem waren die Kundenzahlen ab Q2 nicht mehr gut. Während zwar die Bestandskunden weiterhin fleißig bestellten (hohe Order-Raten und niedrige Kündigungsrate), hatte der Großteil der Konsumenten keine Kapazitäten um neue Dinge auszuprobieren – die Neukundenzahlen fielen drastisch. Positiv zu sehen war, dass Hellofresh den starken Anstieg bei Lebensmittelkosten nahezu vollständig ausgleichen konnte und sich zum Jahresende hin auch die Investitionen in die Logistik positiv bemerkbar machten.

2023 starten im Gegensatz dazu mit umgekehrten Vorzeichen. Lebensmittelpreise (zumindest im Großhandel) sinken seit einigen Monaten wieder (https://tradingeconomics.com/world/food-price-index), Logistikkosten sollten weiterhin rückläufig sein, die Kapitalinvestitionen werden in 2023 deutlich reduziert und selbst das Verbrauchervertrauen klettert langsam wieder, wenn auch von einem sehr niedrigen Niveau. Sollten diese Trends anhalten, dann gehe ich von einem ruhigeren Jahr für Hellofresh aus. Dennoch glaube ich, dass die ersten Geschäftszahlen noch etwas enttäuschen könnten (Q4 und evtl. Q1 23).

Vonovia

Immobilienaktien haben besonders unter den Zinserhöhungen des letzten Jahres gelitten, davon blieb auch Vonovia nicht verschont. Während ich nach den Halbjahreszahlen (https://www.aktienalpha.de/vonovia-q2-zahlen/) noch recht optimistisch war, dass der Vorstand seinen Plan umsetzt und einen Teil seiner Bestände verkauft, sehe ich dies als aktuell deutlich weniger wahrscheinlich an. In den letzten 9 Monaten ist hier noch nichts passiert und genau diese Verkäufe wären nötig, um den finanziellen Spielraum zu erhöhen und weniger abhängig von neuen Anleiheemissionen zu sein.

Vonovia hat meiner Einschätzung nach zwei Optionen, um sich langfristig positiv aufzustellen und nicht abhängig von der Zinsentwicklung zu sein. Zum einen die eben beschriebenen Objektverkäufe in großem Stil (selbst für niedrigere Verkaufserlöse), zum anderen die Streichung der Dividende. Selbst wenn der zweite Schritt für Dividendeninvestoren schmerzhaft wäre, könnte Vonovia dadurch problemlos die auslaufenden Anleihen tilgen (ohne teuer zu refinanzieren) und könnte die Dividende zu dem Zeitpunkt wieder zahlen, ab welchem die Zinsen dies wieder zulassen.

Solange Vonovia diese Schritte nicht geht ist das Unternehmen abhängig vom Zinsniveau und könnte letztlich gezwungen sein seine Objekte zu Tiefstpreisen zu verscherbeln. Sollte das Zinsniveau schnell sinken, könnte Vonovia mit einem blauen Auge davonkommen, doch darauf möchte ich aktuell nicht wetten und hab meine Bestände im Portfolio deutlich reduziert. Diese würde ich erst wieder aufbauen, falls ernsthafte Maßnahmen ergriffen werden oder Inflation und Zinsniveau doch kurzfristig stark zurückgehen.

Uber

Zu Uber gibt es wenig zu sagen, außer dass 2022 ein operativ sehr gutes Jahr war, vor allem unter den genannten Umständen. Das Unternehmen ist zum ersten Mal profitabel (operativ und cashflow), steigert seine Umsätze weiterhin sehr deutlich und konnte zudem vom Rückzug vieler kleinerer Konkurrenten profitieren. Uber liegt gut auf dem Weg seine angestrebten 4 Mrd. $ Cashflow in 2024 zu erreichen und würde damit endgültig seinen Status als unprofitables Unternehmen verlieren. Die nächsten 2-3 Jahre werden in der Hinsicht spannend, da man nun die mittelfristige Wachstumsrate ohne positive bzw. negative Corona-Effekte sehen kann.

Tesla

Ein sehr gutes Timing habe ich mit dem Verkauf der Tesla-Aktien bewiesen. Hier hatte ich im September und Oktober vor Problemen in China und der schwachen Nachfragesituation gewarnt (https://www.aktienalpha.de/wikifolio-update-wochen-vom-03-10-17-10-2022-2/), welche sich in der Folge auch als korrekt erwiesen haben. Die Verkäufe des Großteils der Position zu über 300€ bzw. 214€ waren im Nachhinein goldrichtig. Ob Tesla 2023 wieder die Kurve bekommt bleibt abzuwarten. Zentrale Frage bleibt wie viele Autos Tesla zu welchen Preisen absetzen kann. Sollte sich hier eine Trendwende zeigen mit stabilen Preisen und steigender Nachfrage wäre ich auch wieder bereit in die Aktie einzusteigen.

Fazit

Aus Anlegersicht kann man froh sein, dass 2022 vorbei ist. Der Blick geht nun langsam auf 2023, welches unter anderen Vorzeichen steht. Die entscheidenden Themen findet man vor allem im makroökonomischen Umfeld. Wird die Inflation weiter so deutlich zurückgehen und in den kommenden Quartalen wieder ein normales Niveau erreichen? Wie stark wird die Wirtschaftsleistung zurückgehen oder sehen wir hier sogar eine positive Überraschung?

Der Start ins neue Jahr verlief bisher verheißungsvoll. Und damit meine ich keineswegs die Kursentwicklung (die ohne Unternehmensdaten nur eine Momentaufnahme ist), sondern die ersten Makro-Daten, die auf eine weiter sinkende Inflation bei stärker als gedachter Wirtschaft deuten. Sollte dieses Umfeld anhalten, dann würden wir wohl ein ruhigeres Jahr 2023 erleben. In diesem Sinne wünsche ich allen Anlegern und Lesern ein positives Jahr 2023 und bedanke mich herzlich für das Vertrauen, selbst in den schwierigsten Zeiten.

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Daniel

    Danke für die Zusammenfassung!!

    Wie siehst du die About You Zahlen von gestern?
    So berauschend war das ja nicht oder?

  2. Tassilo

    Hi Bastian,
    obwohl ich nach wie vor denke deine Aktienwahl und Recherche ist sehr gut.
    Hast du Dir überlegt Dir mehr technische Analyse anzueignen um ein paar der Verluste zu reduzieren (DHero ist trotz super langfristiger Ausrichtung immerhin 70% gefallen und selbst 30% verhindern ist da viel)? Wenn ja, welche Indikatoren hast du Dir hauptsächlich angeschaut?
    Bei mir sind es Volumen bei Pivotpunkten (Siehe DHero April und Juni; Zalando im September) und die 200/50 MA Linien.

    1. Bastian Brach

      Moin Tassilo,

      ich konzentriere mich hauptsächlich auf die fundamentale Analyse. Technische Analyse habe ich in der Vergangenheit ebenfalls ausprobiert, hat mir persönlich jedoch keinen Mehrwert eingebracht.
      Falls es dir gelingt, damit bessere Renditen zu erzielen, dann kannst du ja sehr gut meine fundamentalen Analysen nutzen und zusätzlich selbst technische Analyse betreiben.

      Zum Thema Verlustreduzierung: Hier arbeite ich aktuell an einem etwas abgewandelten Portfolio-Ansatz, den ich aktuell teste und wohl in den nächsten Wochen hier ausführlich erkläre. Allerdings ist dieser eher darauf ausgelegt, einen Teil des Portfolios in „sicherere“ Konsumaktien zu stecken, die seit einiger Zeit Profite erzielen und weniger schwanken.

      VG Basti

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