Hellofresh: Kapitalmarkttag 2023

Nachdem die Veröffentlichung der Q4-Zahlen Anfang März noch stark von dem aktuell anspruchsvollen Marktumfeld und dem schwierigen Jahr 2022 geprägt war, lag der Fokus beim diesjährigen Kapitalmarkttag eher auf den Aussichten für die kommende Mittelfristperiode bis 2025. Da der Hellofresh-Konzern mittlerweile aus vielen Marken und Märkten in sehr verschiedenen Entwicklungsstadien besteht, hat der Vorstand zum besseren Verständnis eine Einteilung in 4 Segmente vorgenommen, die ich im Folgenden genauer erläutern werde.

Entwickelte Kochboxenmärkte

Dieses Segment enthält die Märkte, in denen Hellofresh bereits seit mindestens 5 Jahren aktiv ist und somit schon ein sehr gutes Produkt mit großer Auswahl, eingespielten Prozessen und einer großen Kundenbasis haben. Rund ¾ steuern diese Märkte zum gesamten Umsatz bei und machen weiterhin bei weitem den größten Anteil aus. Das Umsatzwachstum war im schwierigen Jahr 2022 einstellig, die operative Marge betrug in den letzten Jahren mehr als 10% vom Umsatz, auch wenn diese in den letzten 2 Jahren etwas zurückgegangen ist.

Die Gründe hierfür hatte ich bereits mehrfach erläutert. Durch das starke Wachstum in den Corona-Jahren hatte man einen Investitionsstau, der seit Mitte 2021 durch eine Verdreifachung der Produktionskapazität angegangen wurde und zu einem temporären Rückgang der Produktivität führte. Zudem stiegen die Marketingkosten wieder auf ein normales Niveau und die Inflation hatte negative Effekte auf die Neukundengewinnung sowie das Kundenverhalten. Nichtsdestotrotz lag die operative Marge weiterhin 6pp höher als vor Corona und allein in diesem Segment erzielte Hellofresh einen operativen Gewinn von über 600 Mio. € und einen normalisierten (d.h. wenn die CAPEX sich wieder den langjährigen Durchschnitten annähern) Free Cashflow, den ich auf rund 500 Mio. € schätzen würde. Durch Produktivitätssteigerungen in den neuen Fulfillmentcentern sowie einer Normalisierung der Marketingkosten sollten mittelfristig sogar höhere Margen möglich sein.

Unterentwickelte Kochboxenmärkte

Dieses Segment enthält die Märkte, in die Hellofresh seit 2018 expandiert ist sowie die Kochboxen-Marken, die Hellofresh seit 2018 gegründet bzw. akquiriert hat. In den neuen Märkten versucht man das Drehbuch der entwickelten Märkte zu wiederholen, während die neuen Marken das Produktportfolio erweitern und neue Kundensegmente (Billig und Premiumsegment) erschlossen werden sollen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass dieses Segment aufgrund des früheren Entwicklungsstadiums noch ein deutlich höheres Umsatzwachstum, aber auch eine negative Marge aufweist.

Wer Hellofresh schon länger verfolgt, den werden diese Zahlen an die bereits in den vergangenen Kapitalmarkttagen veröffentlichten Zahlen erinnern. So wies Hellofresh bsp. beim CMD 2018 für die Märkte Neuseeland, Kanada und Schweiz eine hohe Wachstumsrate bei gleichzeitig deutlich negativer Marge aus. Diese 3 Länder gehören mittlerweile dem Segment „entwickelte Kochboxenmärkte“ an und erzielen deutlich positive Margen.

Langfristig sehe ich auch diese Märkte zweistellige Margen erreichen, gerade der Skandinavische Markt erscheint mir sehr attraktiv, da dort das Kochboxenmodell schon sehr lange etabliert ist, weil die ursprüngliche Idee aus der Region entstammt. Ob die Billigmarken Everyplate/ChefsPlate sowie Premiummarke Green Chef ebenfalls zweistellige Margen erreichen, wird sich zeigen müssen, allerdings sehe ich auch hier gute Chancen dafür, da die unterschiedlichen Lebensmittel- und Produktionskosten über den Preis reflektiert werden und sich somit langfristig ähnliche Margen ergeben sollten.

Neue Märkte

Zu diesem Segment zählen sowohl Kochboxen-Märkte als auch Geschäftsbereiche, die noch in den Kinderschuhen stecken. Während Hellofresh bei den unterentwickelten Märkten relativ sicher ist, dass diese langfristig in eine ähnliche Richtung steuern wie die etablierten Märkte, sind die neuen Märkte eher mit Start-Ups vergleichbar, bei denen der Erfolg noch ungewiss ist und die auch wieder eingestellt werden könnten. So wurde beispielsweise der wenige Monate alte japanische Markt Ende 2022 wieder verlassen, nachdem sich dort nicht dieselben Entwicklungen und vor allem Erfolge gezeigt haben wie in Europa, Nordamerika und Australien. Im Gegensatz dazu sehe ich für die südeuropäischen Länder Spanien und Italien sowie vor allem für den irischen Markt deutlich bessere Erfolgschancen und gehe davon aus, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit in 5-7 Jahren ebenfalls zu den entwickelten Kochboxenmärkten gehören werden.

Bei den neuen Geschäftsbereichen wie GoodChop (Premium Fleischversand ähnlich zu Butcherbox) ist die Entwicklung nicht so prognostizierbar und solche Marken könnten ebenfalls schnell wieder eingestellt werden. Zwar macht dieses Segment aktuell weniger als 1% vom Umsatz aus, verbrennt aber dennoch viel Geld mit negativen Margen >100%, was die operative Marge des gesamten Hellofresh-Konzerns um ca. 1pp nach unten zieht. Das Management selbst rechnet damit, dass dieses Segment langfristig rund 10% zum Umsatz beiträgt und ebenfalls zweistellige Margen erzielt.

Ready to Eat

Das für mich aktuell spannendste Segment ist das RTE-Geschäft. In dieses hat sich Hellofresh Ende 2020 mit der Übernahme von Factor75 eingekauft und erzielt damit bereits 12% des Konzernumsatzes bei operativem Break-Even. Neben einer beeindruckenden Umsatzentwicklung (Verdopplung in 2022, +500% seit 2020) besticht vor allem der bereits in dem frühen Stadium erreichte Break-Even beim operativen Ergebnis. Zum Vergleich: Als das US-Kochboxensegment von Hellofresh im Jahr 2017 noch mit knapp 100% wuchs, betrug die operative Marge -7,5%; als das US-Kochboxensegment von Hellofresh im Jahr 2019 den Break-Even erreichte, betrug das Umsatzwachstum nur +30%.

Factor75 sticht damit das Kochboxensegment deutlich in beiden Vergleichen und hat aus meiner Sicht auch langfristig das höhere Umsatzpotential, da gesunde Fertiggerichte für Ofen/Mikrowelle eine deutlich größere Zielgruppe haben als Boxen zum Selberkochen. Dies zeigt auch die aktuell noch deutlich geringere Bekanntheit von Factor75 mit einer BrandAwareness von gerade mal 6% verglichen mit 66% für Hellofresh in den USA. Aufgrund des bereits heute erreichten Break-Even sehe ich gute Chancen, dass Factor75 langfristig sogar höhere Margen erzielen kann als Hellofresh.

Ende 2023 soll Factor75 auch in Europa gestartet werden, was zu Beginn zwar zu einem negativen Ergebnisbeitrag führen wird, mittelfristig jedoch zu ähnlichen Erfolgen wie im US-Segment führen könnte.

Gesamtbewertung

Für eine sinnvolle Bewertung werde ich die Segmente getrennt voneinander bewerten, da diese sich deutlich in Wachstum, Marge und zukünftigem Potential unterscheiden. Dabei versuche ich recht konservative Annahmen und Bewertungen anzunehmen.

Die entwickelten Kochboxenmärkte werden in den nächsten Jahren wohl nur noch einstellig wachsen, dabei jedoch deutlich zweistellige Margen erzielen, die sich im Vergleich zu 2022 wohl erhöhen werden. Die Gründe hierfür hatte ich bereits im ersten Abschnitt erläutert: Einsparungen im Fulfillment sowie eine Normalisierung der Marketingkosten. Wenn ich konservativ von einstelligem Wachstum und stagnierender operativer Marge sowie rückläufigen CAPEX ausgehe, dann bewerte ich dieses Segment mit dem 10-fachen des normalisierten Cashflows von 500 Mio. € –> 5 Mrd. € Bewertung.

Die unterentwickelten Märkte sollten in den nächsten Jahren weiterhin deutlich stärker als die entwickelten Märkte wachsen, aber noch einige Jahre brauchen, um positive Cashflows und zweistellige Margen erreichen. Wenn ich konservativ von langfristigen Margen unterhalb der entwickelten Märkte (ca. 8% operative Marge) sowie einem etwas höheren Wachstum ausgehe sowie einem ähnlichen AEBITDA zu Free Cashflow Verhältnis rechne, würde ich dieses Segment aufgrund des höheren Wachstums mit dem 12-fachen des normalisierten Cashflows bewerten. Dieser entspricht auf Basis des aktuellen Umsatzes rund 100 Mio. € –> 1,2 Mrd. € Bewertung.

Bei den neuen Märkten gehe ich im sehr konservativen Szenario davon aus, dass diese komplett scheitern werden und sich Hellofresh ähnlich wie in Japan zurückziehen wird. Damit läge der Wert dieser bei 0€. Sollten sich die Management-Annahmen als richtig herausstellen und langfristig ein Umsatz von 10% des Konzerns sowie ebenfalls zweistellige Margen erzielt werden, wäre dieser Geschäftsbereich natürlich deutlich wertvoller (bis zu 500 Mio. € Bewertung). Aufgrund der konservativen Annahmen und der hohen Unsicherheit gehe ich jedoch hier von der Bewertung = 0€ aus.

Das RTE-Segment hingegen ist etwas schwieriger zu bewerten, da sowohl langfristige Marge als auch Umsatzwachstum und -potential noch unsicher sind. Daher nehme ich auch hier zwei Szenarien an (meine Erwartung und ein konservatives Szenario) und wähle für die Gesamtbewertung das konservative Ergebnis. Aufgrund des frühen Break-Even-Zeitpunkts und weiterhin hohem Umsatzwachstum gehe ich davon aus, dass Factor75 langfristig höhere operative Margen als das Kochboxensegment erzielt und in einigen Jahren 15% erreichen kann. Auch das Umsatzwachstum sehe ich noch über einige Jahre im mittleren zweistelligen Bereich. Bei einem normalisierten Cashflow von 13% des Umsatzes und einem solch starken Wachstum würde ich das Segment mit dem 40-fachen des normalisierten Cashflows bewerten, was auf Basis des aktuellen Umsatzes 3,4 Mrd. € entspricht. Konservativ gehe ich von einer geringeren langfristigen Marge in Höhe von 11% bzw. normalisierten Cashflows von 9% sowie einem geringeren Wachstum (niedriges zweistelliges Wachstum) aus, was zu einer geringeren Bewertung von dem 15-fachen normalisierten Cashflow aus – dieses Bewertungsmultiple ist aufgrund des höheren Wachstums weiterhin höher als das der entwickelten Kochboxenmärkte. Damit beträgt meine konservative Bewertung für das RTE-Segment 1,2 Mrd. €.

Die für mich faire Gesamtbewertung liegt bei konservativer Betrachtung bei insgesamt 7,4 Mrd. € Equity-Bewertung + 300 Mio. € Netto-Cash = 7,7 Mrd. €. Dies entspricht aktuell 45€ pro Aktie. Nichtsdestotrotz bleiben die kurzfristigen Entwicklungen schwierig und gerade das Q1 wird schwach ausfallen. Meine Investmentthese müsste ich überdenken, wenn das Umsatzwachstum im 2. Halbjahr 2023 deutlich unter 10% bleibt oder Hellofresh seine eigenen Margenziele deutlich verfehlen sollte.

Ich freue mich über jede Bewertung, Anmerkung und Kritik:
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Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Tassilo

    Danke für den Beitrag.
    Du hattest auch mal Kursziele von 80€?
    Diese sehe ich langfristig immer noch.
    Welche Thesen zum Geschäftsmodell von damals habe sich für dich geändert?

    Für mich persönlich keine. Eher die 2 positiven Erkenntnisse das Factor75 echt groß werden kann oder das man trotz hoher Inflation sehr profitabel ist.

    Wenn die Antwort nur Marktumfeld oder Chart ist, ist das inkonsistent mit deinen vorherigen aussagen. Natürlich kann der Markt 3 weitere Jahre runter gehen wegen hohen Zinsen aber das sollte mE nicht das langfristige Kursziel ändern.

    1. Bastian Brach

      Moin Tassilo,

      zum einen berücksichtige ich die aktuelle Zinssituation, da gestiegene Zinsen natürlich einen Einfluss auf die Unternehmensbewertung haben. Die zukünftigen Erträge werden mit höheren Zinsen abgezinst und damit weniger wert. Dies kann sich zukünftig auch wieder ändern, aber aktuell bewerte ich Unternehmen im Hinblick auf das aktuelle Marktumfeld.

      Zum zweiten sind die 45€ das konservative Kursziel mit aus meiner Sicht pessimistischen Schätzungen. Bei einer für mich realistischen Schätzung ist alleine das RTE-Geschäft fast dreimal so viel wert. Aber dennoch hab ich in dieser Analyse erstmal sehr vorsichtig bewertet, wenn du andere Annahmen hast oder meine „realistischen“ Bewertungen für RTE und die anderen Geschäftsbereiche berücksichtigen willst, kannst du das natürlich auch gerne machen.

      VG Basti

  2. Christoph

    Wäre das 10x des EBITDA nicht die realistischere Bewertungsgrundlage, als der Cashflow?

    1. Bastian Brach

      Moin Christoph,

      zu dem Thema wirst du von 10 Leuten 12 verschiedene Meinungen hören. Ich bin der Überzeugung, dass letztlich der Free Cashflow die entscheidende Kennziffer ist, da nur aus diesem Dividenden und Aktienrückkäufe finanziert werden können. Der Gewinn (sei es jetzt Nettogewinn oder das EBITDA) kann durch verschiedene Bilanzmaßnahmen manipuliert werden (Aktivierung von Kosten, Veränderung der Abschreibungsdauer, Leasingvereinbarungen etc.), während dies beim Free Cashflow auf Dauer deutlich schwieriger möglich ist.

      Bei Hellofresh erwarte ich, dass der Free Cashflow langfristig in etwa dem AEBITDA – Ertragssteuern + Working Capital entspricht, dies sollte im Bereich 0,8 bis 0,9-fach AEBITDA liegen.

      VG Basti

  3. Christoph

    Hallo Basti,
    Vom AEBITDA wären dann aber noch die nicht zu vernachlässigenden Investitionen abzuziehen, um auf den free Cash flow zu kommen, oder?
    Grüsse

    1. Bastian Brach

      Moin Christoph,

      ja, da hast du völlig Recht. Das hatte ich zwar in meiner Rechnung eingebaut, d.h. AEBITDA – CAPEX – ESt + WC sollte in etwa 0,8 – 0,9 des AEBITDA entsprechen. Hatte es jedoch vergessen hinzuschreiben.

      VG Basti

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