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Anleihe-Emissionen in Zeiten von Corona: Ein zweiter Blick

Im März und April verzeichnen die Anleihemärkte Rekordvolumina. Die Pressemitteilungen dazu lesen sich durchgängig positiv („mehrfache Überzeichnung“, „großes Interesse der Investoren“, etc.), doch auf den zweiten Blick erkennt man den Grund für die hohe Nachfrage der Investoren – und dieser ist nicht unbedingt positiv für Unternehmen und Aktionäre

Nicht nur an den internationalen Aktienmärkten ist aktuell viel Bewegung, auch die Anleihemärkte erleben seit einigen Wochen deutliche Kursschwankungen. Die Coronakrise beeinträchtigt die Liquidität vieler Unternehmen, daher besteht auch ein besonderer Bedarf an frischem Geld. Da eine Kapitalerhöhung bei den deutlich gesunkenen Kursen zu einer deutlichen Verwässerung der Aktionäre führen würde, sind Anleiheemissionen beliebter denn je.

Allein in der vergangenen Woche wurden laut „finance magazin“ von 4 DAX-Konzernen (VW, E.ON, HeidelbergCement, Vonovia) neue Anleihen emittiert. Bereits der März hat laut „Handelsblatt“ einen neuen Monatsrekord beim Emissionsvolumen aufgestellt, der April dürfte diesen Rekord noch einmal übertreffen. Die Pressemitteilungen bei der Platzierung lesen sich dabei durchweg positiv, allerdings wird am nachfolgenden Beispiel der Vonovia deutlich, wieso es sich lohnt genauer hinzuschauen.

Anleihe der Vonovia SE im Detail

Am 31.03.2020 veröffentlichte Vonovia eine Pressmitteilung mit dem Titel „Neue Vonovia Anleihen stark nachgefragt“. Im nachfolgendem Text erfährt man, dass die Anleihe deutlich überzeichnet war und bekam noch eine positive Einschätzung des Finanzvorstands hinterher:

Die Vonovia SE konnte heute mit großem Erfolg zwei Anleihen im Volumen von insgesamt 1 Mrd. € platzieren. Die Papiere mit einer Laufzeit von 4 bzw. 10 Jahren wurden von mehr als 300 Investoren nachgefragt, das Ordervolumen betrug mehr als 3 Mrd. €. „Liquidität ist derzeit besonders wichtig. Kapitalanleger wägen Investmententscheidungen genauer ab als sonst“, sagt Helene von Roeder, Finanzvorständin von Vonovia. „Wir freuen uns daher über die Unterstützung unserer langfristig orientierten Anleger und den eindeutigen Vertrauensbeweis in die Stabilität unseres Geschäftsmodells.“

Quelle: DPAG vom 31.03.2020

Wenn man sich jedoch die Konditionen der Emission anschaut, dann wird auch der Grund für die hohe Nachfrage nach den Anleihen deutlich. Die Coupons der 4-jährigen und der 10-jährigen Anleihe liegen bei 1,625% und 2,25% jährlich. Durchschnittlich 1,9% Zinsen für neue Anleihen in dieser Krisensituation mögen auf den ersten Blick nach akzeptablen Konditionen klingen, relativieren sich jedoch beim Blick auf die Anleihe-Emissionen in 2019. Vergangenes Jahr wurden nämlich 2 strukturgleiche Anleihen mit fast identischen Laufzeiten emittiert. Eine 3,5-jährige Anleihe mit 0,125% Coupon und eine 10-jährige Anleihe mit 0,5% Coupon – die Zinskosten für Vonovia stiegen somit um mehr als 1,5 Prozentpunkte.

Dieser Zinsaufschlag war anscheinend nötig, um Investoren von der Anleihen-Zeichnung zu überzeugen – obwohl Vonovia nur sehr geringe Auswirkungen durch Corona zu spüren bekommt. Auch die Meinung der Rating-Agenturen hat sich seit vergangenem Jahr nicht verändert. Scope bescheinigt Vonovia weiterhin ein Rating von A- (stabil), auch S&P hält in der gerade erst aktualisierten Einschätzung (06.04.2020) am Rating von BBB+ (stabil) fest. Damit behält Vonovia auch den für viele Investoren wichtigen Investment-Grade.

Schlussbemerkung

Eine Anleihe in diesen herausfordernden Zeiten überhaupt zu emittieren ist aller Ehren wert. Trotzdem sollte aus den positiven Pressemitteilungen nicht automatisch geschlossen werden, dass die Coronakrise keinerlei negativen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Unternehmen hat. Daher ist es als Anleger wichtig, sich auf den entsprechenden Investor-Relations-Seiten der Unternehmen ein eigenes Bild zu machen.

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